Diese Geschichte braucht einen visuellen Aufhänger. Ich versuche, mich zu professionalisieren.
Es ist Montag.
Auf dem Weg zum Hofer, der österreichischen Variante von Aldi Süd, wo es auch Bioprodukte aus österreichischer Landwirtschaft gibt, weil man besonders stolz ist, in Österreich, auf die Landwirtschaft und auf sich im Generellen, auf die PKW-Maut für alle (!), auf die Arbeitsschutzgesetze und deren Ladenöffnungszeiten am Samstag (bis 18Uhr), kreuze ich den Weg eines Foodora-Lieferanten, der irgendwas vom Neni am Naschmarkt (bestimmt, es sind nur die besten Restaurants, liebevoll ausgewählt) einem besser situierten Lifestyle-Blogger liefern wird, für Mindestlohn, auf seinem eigenen Fahrrad, vom Mindestlohn gekauft. Er entdeckt dabei seine eigene Stadt. Sightseeing, quasi und dabei Geld verdienen! Zum Glück sind die Datentarife in Österreich spottbillig. So kann er jede Bestellung entgegennehmen, ohne horrende Handyrechnung am Ende des Monats.
Als ich die pinkfarbene wärmeisolierende Box auf dem Rücken des drahtigen und bärtigen Lieferanten sehe, frage ich mich, ob ich mir jemals Foodora-Essen leisten kann. Momentan muss es mich nicht berühren, ich kann es mir nicht in meine Wohnung liefern lassen, da ich abseits des Liefergebietes lebe. Eingebettet in Kleinfamilien der unteren Mittelschicht, die am Wochenende den Indoor-Spielplatz aufsuchen oder zum Ikea fahren. Das befreit aber auch.
Es macht also nichts, denn es geht mir recht gut mit meinen Erdbeeren aus Spanien, vom Hofer. Es gibt auch Premiumerdbeeren in einer kleinen Kiste aus Holz. Die billigen im Plastikbehältnis tun es aber auch. Erdbeeren ab Februar ist ja auch ein Luxus. In Aleppo haben die das nicht.
In Deutschland sind die Lebensmittel billiger. Ich würde mich gerne als angefeindete Exildeutsche profilieren. Bis auf einige feindselige Äußerungen von biertrinkenden Asozialen, die mir mal entgegen gekommen sind („In Deutschland gibt es nur Scheiße!“, *heul*) und einem fetten alten Mann, der auf die Deutschen beim Public Viewing geschimpft hat, hat mich eigentlich noch nichts direkt getroffen. Man sagt ja immer, es kommt aus dem Wald wie man reinschreit. Ich bin von Geburt an sehr höflich. Die orientalischen Ausländer sind scheinbar beliebtere Ziele. Also, die Tschuschen, wie der Österreicher sie liebevoll nennt. Die Kebab essen (kann man hier nicht essen, schmeckt überhaupt nicht) und Kopftücher tragen. Das kränkt mich manchmal schon ein wenig. Die FPÖ mag ja alles Arische. Außerdem fange ich schon an, „deppert“ zu sagen und selbst auf die Deutschen zu schimpfen. Wie sie reden, so eingebildet und gehoben. Und wie sie dreinschauen und wie dumm sie gehen, mit ihren komischen Trekking-Sandalen in den Meinl stolpern und wie blöde Manner-Schnitten kaufen. Würde ich nach Berlin ziehen, müsste ich mich wahrscheinlich mehr fürchten, sobald ein bisschen das Schwäbisch aus mir rausbrechen und ich aus Versehen einen Wecken bestelle würde. Aber ich esse ohnehin kein Weißmehl.
Der Tag ist schön und sonnig. Die Einwohner Wiens rotzen dank Jahrhundertmärz und dem frühzeitig eingesetzten Pollenwurf in ihre Papiertaschentücher. Eine kleine rundliche Frau in Synthetikkleidung wühlt sich durch die Kiste mit bunten Garten-Clogs für 3,99€, wie Hofer die Crocs-Kopien aus dem aktuellen Sortiment betitelt und benetzt sie dabei mit einem Auswurf ihrer, ich vermute, chronischen Bronchitis. Ein anderer Kunde wird sie, die Bronchitis, mitnehmen, zusammen mit einem gelben Paar Gummischlappen. Ich versuche, mit meinem Plastiktrolley schnell an ihr vorbeizuziehen und muss zugeben, dass ich verurteilend und angewidert das Gesicht verziehe. Ich bin besser als sie, selbst wenn ich husten müsste, was ich nie muss. Nie. Mein Desinfiziergel von Balea liegt sicher in meiner Tasche und wartet auf seinen Gebrauch.
Auf dem Nachhauseweg muss ich in der U-Bahn meinen Stehplatz freigeben, für einen Kinderwagen, nachdem ich meinen Sitzplatz an eine, wie ich ja finde, noch durchaus rüstige Seniorin verloren habe. Use it or lose it, Oma, will ich sagen. Stehen beim Bahnfahren sei wie Pilates, schreiben die Wiener Linien. Ich rolle innerlich die Augen (ich bin doch so höflich!). Können die nicht wann anders fahren. Es ist 10:50Uhr.
Das Foto zeigt die Verfasserin in einem türkischen Restaurant im 15. Wiener Gemeindebezirk