Ich stelle mir vor, ich müsste mit gleichaltrigen Studenten reden und würde noch in einem WG-Zimmer leben und müsste mich nach der Putzuhr der Mitbewohnerin richten, die auf Lehramt studiert und in Küchen sitzen, auf Schemeln, vom Flohmarkt, Bier trinken und Pizzateig belegen, dabei gezwungen lächeln und zuhören, Dingen, die mich nicht interessieren, über Proseminare, das letzte Gruppenreferatsthema, das spannende, was man gelesen hat, dass man in Syrien war, als es schon Krieg war, aber noch nicht so Krieg war, was es einem gibt, das Helfen, kiffen, deutschen Hip Hop hören, intellektuellen, tiefgründigen, über das neueste Album der eigenen Band, die jede Woche in einem Proberaum probt und groß rauskommen will, dass ich Facebookeinladungen von ihrem Gig in einem versifften Club annehmen muss, der mich nicht interessiert, die CD kaufen, weil man sonst beleidigt ist und ich will die Urlaubsfotos aus unterentwickelten Ländern nicht sehen und hören, wie dankbar ich sein muss.
Ich stelle mir vor, noch eingeladen zu werden auf langweilige WG-Partys, wo erst gekifft wird und dann frisst man Couscous-Salat mit Hummus. Oder gekokst wird und dann gefickt auf dem Sofa, zwischen gescheiterten Existenzen, die das Sorgerecht ihrer Kinder verloren haben, weil sie lieber gekokst haben und jetzt depressiv sind und Antidepressiva lutschen wie Bonbons, die schon Ende 30 sind und immer noch auf diesen WG-Partys sind und jeden mit den rührseligen Geschichten belästigen und erzählen, wie sehr sie ihre Kinder lieben und dann anfangen zu weinen, weil die Wirkung der Drogen nachlässt und ihr Kind auf sie scheißt, die die letzten sind, auf jeder Party, wenn schon alle in ihren WGs liegen unter ihrer IKEA-Bettwäsche, das gebrauchte Kondom, weil man den Hedonismus umarmt und die damit verbundene Promiskuität, aber nur mit einem Zeh, weil Geschlechtskrankheiten nicht zu deinem Lebensentwurf passen, liegt neben dem Kotzeimer, den einem der tollste Mitbewohner neben die Matratze gestellt hat, der Verständnis hat, der das cool findet, dich und was du machst.
Ich stelle mir vor, angesprochen zu werden, von Wirtschaftsstudenten, aus Familien mit Geld, die ok finden, wie es ist, nein, ganz gut, die Glückspilze und Sonntagskinder, die Türstehern in Edeldiscos fünf Euro in die Hand drücken, ein bisschen was dazu verdienen, damit sie für sie an der Garderobe anstehen und die Jacken holen, die im VIP-Bereich vor Tischen sitzen, auf denen ein Eimer mit Wodka-Bull steht, die immer Schals tragen, und die Frauen mitnehmen, blonde mit Perlenohrringen, oder geile mit hohen Schuhen, sie zuerst ins Taxi steigen lassen, wie sie das vom Unternehmervater abgeschaut haben, der die Mutti mit der Sekretärin betrügt oder den Geschäftskollegen vögelt, wie im Fernsehen, nur in echt, zur Maniküre gehen, weil es wichtig ist, sich zu pflegen, und edlen Rotwein ausschenken, in Gläsern, und Musik auflegen, die geschmackvoll ist und eigentlich in Hotelbars gespielt wird, aber jetzt wird sie in der zentrumsnahen Altbauwohnung gespielt, die man gekauft hat, für den Jungen, damit er dort wohnen kann, bis er mit dem Studium fertig ist, der gerne kocht für die Freunde, ebenfalls aus gutem Hause, am Liebsten Asiatisch, aber nicht zu experimentell.
Ich stelle mir vor, auf Openings zu müssen, von urbanen Shops, die im Verkaufsraum auch internationale Jungkünstler ausstellen, die ihren Bezug zur Flüchtlingskrise thematisieren oder zu sich selbst, und das gut finden zu müssen, und nicken, wenn man mir von seinen Projekten erzählt, die exklusive Mode aus Skandinavien tragen und Skateboards und Rucksäcke, mit denen vollbärtige Mützenträger an die Uni fahren oder in die Werbeagentur, Sneaker in limitierter Edition an den Füßen, die Grillfeste machen im Sommer, für ihre Kunden, die ihre Freunde sind, das neue Nachbarschaftsgefühl, die fühlen und dabei doch so männlich sind, mit ihrem Bier und dem Bart und dem Skateboard, das sie im Winterurlaub gegen das Snowboard tauschen, das ist Lebensgefühl, das ist Lifestyle.
Ich stelle mir vor, ich müsste mir Poetry Slams anhören, von Menschen in Kapuzenpullovern, und dafür auch noch Geld bezahlen, und lachen, und Bier aus grünen Flaschen trinken und währenddessen auf meinem Smartphone nach links wischen, oder nach rechts, und Nachrichten bekommen, mit “Hey!”, oder “Na, du!”, und danach in stickigen Clubs stehen, auf klebrigem Boden und mir Feuerzeuge vor die Zigarette halten lassen, von schmierigen Trotteln, die das im Fernsehen gesehen haben, die denken, sie können mir an den Busen greifen, weil sie mir die Zigarette angezündet haben, die meinen, sie können jetzt ficken, nachdem sie 3 Euro in ein Bier investiert haben, das ich gar nicht wollte und mindestens fünf Stunden da bleiben, weil der Eintritt so teuer war und man vom Türsteher reingelassen wurde, und die Musik ist scheiße.
Das stelle ich mir manchmal vor und dann muss ich lachen.